Holunder (Sambucus nigra)

 

Keiner von uns wird sich der Allgegenwärtigkeit des Holunders erwehren können. Er ist ein Baum, an dem sich die Geister scheiden. Die Einen mögen und ehren ihn, die Anderen verachten und hassen ihn. Letztere, weil mit der Unbeliebtheit meist der Gedanke des Entfernens einhergeht, leben und handeln nicht ungefährlich. Nicht umsonst wird gesagt: „Willst du aus dem Leben scheiden, musst du den Holunder schneiden!“, heißt es in einer schwäbischen Bauernweisheit. Und tatsächlich; wer sich am Holunder - dem Tor zur Unterwelt der Frau Holle und des Teufels zugleich -  vergeht, dem Blühen der Mythologie zufolge sieben Jahre Pech.

Noch heute ziehen Bauern, wenn sie auf ihrem Weg einen Hollerbusch passieren, ihren Hut, weil sie wissen, dass sich in ihm das Tor zur Unterwelt befindet und er gute Geister beherbergt. Aber auch, weil er die Unholderwesen, sogenannte Gichter und Gichtinnen, welche Krankheiten unter den Menschen verbreiten, anzieht und direkt in den Kochtopf der Frau Holle befördert. Diese stellt des Teufels Großmutter dar, welche in dem Topf rührt und so das Abendessen für den Teufel bereitet, der zu dieser Zeit noch nicht dem Bild entspricht, welches wir heute von ihm noch, vermittelt durch die Kirche, haben.

Der Holunder hat etwas Helles, etwas Himmlisches, wenn man im Mittsommer die Blüten betrachtet. Sie recken sich direkt der Sonne und dem Himmel entgegen, verströmen einen intensiven Duft, der uns regelrecht zu betören vermag. Viele mögen diesen Duft nicht, weil er die Schleimhäute bisweilen reizt, uns niessen lässt und es heisst sogar, der Holunder könne Pollenallergien auslösen. Dabei ist Holunderblütentee eines der besten Mittel, Pollenallergikern Linderung zu verschaffen.  Der hellgelbe und schwer süßlich duftende Pollenstaub klebt beim Berühren an unserer Kleidung, unserer Haut; fast wie das Gold, mit dem Goldmarie, nachdem sie das Reich der Frau Holle verlassen hatte (also wiedergeboren wurde) und behaftet diese so mit einem guten Karma. An dem Staub wie an dem Namen Goldmarie ist eindeutig die Signatur der Sonne, dem Allesvater und Lebensbegründer und -bewahrer, zu erkennen. Die Sonne vermittelt uns Themen wie Energiefreisetzung, Gefühlsäußerung und Gleichmaß.

Später dann, im Herbst, wendet sich das Blatt wie auch die Richtung. Die schweren, fast schwarz-rot glänzenden Dolden, weisen uns hängend den Weg in die Tiefe, in das Hollenreich. Die Zeit ist reif, sich auf den Weg in die dunkle Jahreszeit vorzubereiten. Die Holunderbeeren liefern uns alles was wir brauchen, auch diese Zeit der tiefgreifenden inneren Transformation zu bestehen. Der Planet Mars ist in dem blutroten Saft, auch aber in den scharlachroten Stengeln deutlich zu erkennen. Mars befähigt uns zur spirituellen Erneuerung, wozu die dunkle Jahreszeit wie geschaffen ist und stärkt unsere Abwehr, die bevorstehende Kälte und Zeit des Mangels zu überstehen. Vielleicht wird in dem Märchen der Frau Holle Pechmarie mit Holundersaft übergossen (auch der ist schließlich nur schwer zu entfernen), und damit ihr Karma neu behaftet und sie wird durch die Marsanalogie überhaupt erst wieder in die Lage versetzt, physisch kämpfen zu können (und zu müssen); denn wenn wir uns erinnern, lag sie doch in der physischen Welt nur faul im Bett herum. 

Heute gibt es zahlreiche Kräuter- und Rezeptbücher, in denen wiedergekäuertes Wissen auch über den Holunder vermittelt werden soll. Doch die tiefgründigen Erfahrungen, die man mit dieser (für mich besonders) heiligen Pflanze machen kann, sind so individuell wie die Erscheinungsformen des Baumes selbst. Auf alten Höfen, Bauernhäusern, Ställen und Scheunen wird man immer wieder Holunder wachsen sehen. Er sucht die Nähe des Menschen, bewahrt ihn vor den dunklen Mächten, bietet seinen Schutz förmlich an und nur wenige von uns können aus diesem Verhalten die richtigen Schlussfolgerungen ziehen. Alles was wir brauchen, kommt auf uns zu, begegnet uns, erscheint uns und offenbart sich. Wir erkennen die Botschaften unserer Umwelt kaum noch oder gar nicht mehr, wir hetzen an Allem und an uns selbst vorbei. So ähnlich formulierte es auch Zarathustra: „An dir musst du vorbei, und an deinen sieben Teufeln...“. Halten Sie einmal an einem Holunder inne, setzen Sie sich zu seinen Wurzeln, lehnen Sie sich an seinen Stamm, atmen Sie seinen Duft, betrachten Sie ihn eine Weile und schliessen Sie dann die Augen. Erst werden Sie sich wundern, dass nichts passiert. Doch dann werden Sie wach und stellen fest zwei oder gar drei Stunden geschlafen zu haben und dieser Schlaf war von lebhaften Träumen regelrecht durchtränkt. Versprochen!.

Und Eines noch; grüßen Sie ihn, wenn Sie ihm.., oder besser..., wenn er ihnen begegnet!

© Kay Weber