Pfaffenhütchen/Spindelbaum (Euonymus europaea)

Man könnte glauben, dass das Pfaffenhütchen all seinen Saft und sämtliche Kräfte über das Jahr hinweg sammelt, nur um im Herbst in einem Farbenkleid zu erleuchten, das die meisten Sträucher und Gehölze vor Neid erblassen lassen soll. Kaum das dieser Strauch mit seinem durchschnittlich grünen Kleid und der silbrig-bräunlichen Borke uns im Frühjahr oder Sommer auffällt oder sich gar von umgebenden Gewächs abheben würde, attackiert er in Spätsommer und Frühherbst mit einem wahren Feuerwerk die herbstliche Farbpalette. Um seine Blüten in Mai und Juni überhaupt entdecken zu können, muss man schon sehr genau hinschauen.

Im September und Oktober öffnen sich die Früchte mit vier purpurrosa bis karminroten Klappen, als wollten sie abheben, um zu ihrem Heimatplaneten zurückzukehren. Sehr interessant ist ein Schnitt durch den noch weichen Samen. In dem orangefarbenen Samenmantel (Arillus) liegt der gelb-grünliche Embryo, umhüllt von weißem Mark. Ein Anblick, der sowohl in Humanmedizin wie auch in Science-Fiction-Filmen Analogien findet.

Grundsätzlich ist das Pfaffenhütchen – trotz seines niedlichen Namens – in all seinen Teilen giftig, besonders die Samen. Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall sind nur die noch erträglicheren Symptome. Kreislaufkollaps, Leberschwellung und Nierenschädigungen sind ein untrügliches Zeichen dafür, dass ein Überdosierung auch zum Tod führen kann. Für gewöhnlich sagt man, dass alles, was eine Pflanze bewirkt, auch von ihr geheilt werden kann. Dies mag auch für viele uns als Giftpflanzen bekannte Gattungen zutreffen. Denken wir an den Aronstab, die Herbstzeitlose, das Bilsenkraut, die Tollkirsche, das Maiglöckchen, den weißen Germer, den Fingerhut und viele andere in der Homöopathie verwendete Pflanzen. Doch konnte ich nach langem Stöbern und Suchen nichts finden, was die Wirkung des Pfaffenhütchens in einem besseren Licht erscheinen lässt. Einzig nur, dass das Holz des Pfaffenhütchens früher zum Drechseln, zur Zeichenkohleherstellung und als Putzholz für Uhrmacher Verwendung fand.

Nichts Bestehendes ist ohne Sinn. Und wenn sich dieser allein darin findet, dass im Spätsommer so aufflammende, sich von Allem abhebende und verlockend leuchtende Pfaffenhütchen unsere Herzen, Augen und Sinne erfreuen soll, so hat sich sein Sinn für uns allein darin ausreichend erschöpft.

Für Rotkehlchen, Wacholder- und Misteldrosseln jedoch, ist der fleischige Arillus des Samen ein willkommener Genuss. 

© Kay Weber