Einjähriges Rispengras - Poa annua

Der Mensch, ein Gras 

(Gedicht von Friedrich Logau)

 

„Unsres Lebens beste Kost, ist von erstem zartes Gras.

Unser Leben selbst ist das, Samm der Ehr und aller Lust.

Brächte jenes nichts von Früchten, bliebs im Felde leichtlich liegen.

Menschen würden wenig tügen, wann sie nicht in Himmel tüchten.“

 

 

Auf unseren Wiesen ist das Einjährige Rispengras der häufigste Vertreter unter den Süßgräsern und hat durch die Errichtung von Kulturlandschaften deutlich profitiert und gewaltige Ausbreitung gefunden. Hierzu bedienen sich die Schließfrüchte der Hilfe von Vögeln und Ameisen, nutzen die Verdauungsausbreitung durch Klein-, Wild- und Weidetiere, gelten als Windstreuer und Ballonflieger. Besonders jedoch die menschliche Bewirtschaftungsleistung von Futter- und Weidewiesen trägt zu ihrer Ausbreitung enorm bei. 

Es ist ubiquitär, begegnet uns unentwegt in Gärten, Parks, auf Äckern, an Weg- und Straßenrändern, in Pflasterritzen, lässt sich in Pflanzkästen, Rabatten, auf Schutthalden, Bahndämmen, Gartenbeeten, auf den Dächern und in den Dachrinnen von verfallenen Gebäuden und Abrisshäusern und überall dort nieder, wo es günstige Bedingungen findet, wobei es insofern anspruchsvoll ist, dass es nährstoffreiche Böden bevorzugt. Sobald sich durch unser - wie auch immer geartetes Wirken - kleine Nischen, kahle Flächen, schmale Ritzen und Spalten auftun, findet sich, neben den üblichen Pionierpflanzen, das Einjährige Rispengras augenblicklich ein, so als ob es seine Aufgabe wäre, Wunden zu schließen. Ähnlich instantan reagiert auch die Brombeere nach Kahlschlägen oder Windbrüchen in unseren Wäldern. Ihre Ranken und Blätter bedecken recht schnell die offenen Wunden und bilden ein den nackten Boden schützendes und Schatten bildendes Netzwerk. Diese Eigenschaft wirkt in Brombeerblättern derart, dass sie als gutes Zellerneuerungsmittel empfohlen werden. Weshalb also wird dem Rispengras, das sich uns als äußerst vital, generativ, unermüdlich und widerstandsfähig in unerschrockener Aufdringlichkeit offenbart, nicht die Aufmerksamkeit entgegengebracht, der es gebührt? Immerhin sollten wir diesem häufigsten Vertreter der Süßgräser eine gewisse Dankbarkeit entgegenbringen, wenn doch sämtliche Getreidesorten von den Süßgräsern abstammen. Nein, es gilt als Gärtner-Schreck, als penetranter Widerling, als unerwünschte Wildpflanze, dessen filzartiges Gräsernetz muffig nach Pilz riecht, einer Übersaat ohne Vorbehandlung keinen Platz macht, ertragsschwach, von tiefer Qualität und nur schwer zu besiegen ist, zumal es die Optik einer gepflegten Rasenfläche massiv und nachhaltig schädigt. Unzählige Varianten zur Bekämpfung werden empfohlen wie lange Bewegungsintervalle, bekämpfen durch Ausstechen, mehrfaches kurzmähen, vertikutieren oder den geliebten Rasen komplett ersetzen. Scheinbar erfreut es das menschliche Auge, sich eher an einer monokulturellen Fläche zu erfreuen, als der Vielfalt und sich selbst regulierenden Systemen den Vorrang zu lassen, zumal die Toleranz gegenüber der Vielfalt derzeit ja von jedem Dach gepfiffen wird. Biodiversität bitte gern, bloß nicht in meinem Garten! 

Von Spritzmitteln gegen Poa annua wird übrigens abgeraten, weil diese dem Gras nichts anhaben können. Ackerunkräuter, gegen die dauerhaft Spritzmittel eingesetzt wird und welche mit einer außerordentlichen Resistenz diesen widerstehen, sind jene Pflanzen, die in der Volksmedizin und Naturheilkunde als die besten Entgiftungskräuter genannt und empfohlen werden. Auch die Pharmaindustrie weiß diesen Umstand zu schätzen und wartet mit einer beeindruckenden Präparat-Palette in den Apothekenregalen auf. Lässt sich hier in Bezug auf das Einjährige Rispengras eine ähnliche, vielleicht sogar gleiche Eigenschaft ableiten? Dazu später mehr, denn es gibt noch ein weiteres Indiz, das von der außerordentlichen Vitalität der Pflanze zeugen. 

Die im Namen genannte Einjährigkeit ist nicht unbedingt wörtlich zu nehmen, denn Poa annua schafft es durchaus, auch zwei- und mehrjährig zu überdauern, wenn die Bedingungen günstig sind. Es besitzt keine Blühperiodizität, gilt als Schneeblüher und kann unter einer dichten Schneedecke gut überwintern. Jungpflanzen können schon nach sechs bis acht Wochen blühen und fortpflanzungsfähige Samen bilden. 

Wenn ich nun diese Wesens- und Verhaltenszüge aus dem Blickwinkel der Signaturenlehre zu deuten versuche, müsste Poa annua eine Pflanze sein, die uns als mögliche Nahrungspflanze überdurchschnittlich viel Vitalität, Widerstandskraft, Lebens- und Vermehrungsfreude verleiht. Hierbei gilt es aber nicht zu vergessen, dass diese Beobachtung ja nur noch in einer seit Jahrhunderten veränderten und teilweise urbanisierten Kulturlandschaft stattfindet. Wir wissen nicht, wie sich diese Pflanze in einem ursprünglich belassenem Habitat phytosozial verhielte, da es dort, frei von jedweder menschlich-gestalterischen Einflussnahme, auf völlig andere Bedingungen stieße. Pflanzen wissen jedoch, sich verändernden und neuen Umgebungsbedingungen zügig anzupassen, indem sie sogenannte Ökotypen (nicht zu verwechseln mit Chemotypen) bilden, was übrigens auch als eine Reaktion auf die vom Menschen betriebene Hybridisierung unserer Lebensräume erkannt wurde. 

 

Nun gibt es zahlreiche Empfehlungen, wie wertvoll bestimmte Gräser für die menschliche Ernährung in Bezug auf Gesundheit, Vitalität, Immunstärke und das Säuren-Basen-Gleichgewicht sind. Weizen-, Gersten- und Hafergras in Form von Smoothies, als Saft oder Tee finden immer mehr Verbreitung. Wenn wir aber Grasarten hierfür nutzen, welche Kreuzungen und Zuchtformen entspringen, finden sich sicher auch Wildformen, die hierfür genau so gut geeignet sein sollten, zumal unsere Entstehungsgeschichte so eng mit dem Entstehen der Gräser verbunden sein soll (sie „Geschichtliches zu Gräsern“). 

Grundsätzlich bringen alle Gräser (Binsen-, Sauer- und Süßgräser) Mitteleuropas, abgesehen vom Lolch- oder Weidelgras, essbare Samen hervor. Ob Weißes Straußgras, Ruchgras, Roggen-Trespe, Erdmantel, Braunes Zyperngras, Blut-Fingerhirse, Kriechende Quecke, Riesen-Süßgras, Weidelgras, Ried, Rohrkolben-Arten oder Hirse-Arten - von ihnen können die Samen zu Grütze, Brei oder Mehl, geröstet zu Kaffee, ausgepresst und eingedickt zu honigartigem Aufstrich oder die Wurzeln zu Kochgemüse, zu Sirup oder spargelartigem Gemüse und teilweise zu einem Tabakersatz verarbeitet werden. Tees (genau genommen sind es Aufgüsse) aus den Wurzeln besonders vitaler Grasarten sind unglaublich gut wirkende Stärkungsmittel, wie beispielsweise der Aufguss aus den Wurzeln der Kriechenden Quecke. 

Unsere heimischen Getreidesorten sind über Jahrtausende gezüchtet und immer weiter veredelt worden. Wie bei Wildkräutern gegenüber gezüchteten Gartenkräutern übertreffen Süßgräser bei Weitem die Inhaltsstoffe der überzüchteten Getreidesorten. Ein indianisches Sprichwort sagt unter Anderem: „Iss mehr grün - du wirst starke Beine und ein widerstandsfähiges Herz haben, wie die Wesen des Waldes.“ Die grüne Farbe des Chlorophylls wird durch den Nicht-Eiweißanteil Magnesium erzeugt, so wie der Nicht-Eiweißanteil des Hämoglobins, das Eisen, unser Blut rot färbt. Prinzipiell kann man also sagen, dass grüne Pflanzenkost durch ihren hohen Magnesium-Anteil, der auch für die Nerven- und Muskelerregbarkeit verantwortlich ist, durchaus für starke Beine und ein widerstandsfähiges Herz sorgen kann, wenn die Begleit-Parameter stimmen. Und so einfach, wie es hier klingt, ist es auch. Natürlich widersprechen dem ganze Heerscharen von konzernfinanzierten Experten und lobpreisen wiederum die aufgeblähten Produkte der Nahrungsmittelindustrie, denn mit Selbstversorgung lässt sich nun mal kein Geld verdienen. Doch darum soll es hier nicht gehen. 

Junges Gras kann pur gegessen werden, wenn man eine unbelastete Wiese kennt. Man pflückt die Halme, kaut diese einfach gründlich, um an die Inhaltsstoffe zu gelangen, und spuckt die für uns schwer bis gar nicht verdaulichen Halme wieder aus. Das gründliche Kauen ist ein wichtiger Verdauungsprozess, da es die Nahrung nicht nur zerkleinert, sondern auch mit vielen Enzymen aus dem Speichel durchmischt, wobei manche Kohlenhydrate hierbei schon gespalten werden. Ein weiterer Effekt des Kauens ist es, das endokrine System auf die kommende Nahrung vorzubereiten. Die arbeitenden Speicheldrüsen senden hierbei schon Botenstoffe aus, damit die Magenschleimhaut, die Leber und die Bauchspeicheldrüse vorab informiert werden. Aus diesem Grund bin ich auch kein sonderlicher Liebhaber von Smoothies. Diese überwinden die erste wichtige Verdauungsbarriere. Und durch ihre pürierte Form ist die gesamte Zellulosestruktur bereits zerlegt, was bedeutet, dass der Darm mit seinen Enzymen gar keine Zeit hat, die in dieser Faserstruktur gebundenen Inhaltsstoffe zu lösen, zu spalten und zu resorbieren. Einen Teil mag er aufnehmen, aber der flüssige Charakter des Smoothies sorgt für eine viel höhere Durchlaufgeschwindigkeit im Darm. Unser Körper aber benötigt Zeit um die ins Blut resorbierten Inhaltsstoffe nach und nach zur Leber zu transportieren, damit diese die Nährstoffe über den Blutkreislauf bedarfsgerecht verteilen kann. Kommen hier zu viele Inhaltsstoffe an, wird ein großer Teil dieser über die Nieren wieder ausgeschieden. So kann es sein, dass von einem verzehrten Smoothie bis zu 95% der Inhaltsstoffe wieder ausgeschieden werden, was zahlreiche klinische Studien belegen. Also erscheint es doch einleuchtender - und so wird es von einschlägigen Ökotrophologen auch empfohlen, eine hohe, faserreiche Nahrungsmasse mit einer geringen Nährstoffdichte zu uns zu nehmen. Somit hat unser sechs Meter langer Darm ausreichend Zeit, die Nährstoffe aus der Faserstruktur zu lösen und nach und nach an die Leber abzugeben. Und der alte Ratschlag: Gut gekaut ist halb verdaut! ist Alles andere als eine fadenscheinige Binsenweisheit. Ganz nebenbei wirken die Grasfasern beim Kauen wie Zahnseide. 

Interessant ist auch, dass alle im Gras enthaltenen Inhaltsstoffe synergetisch wirken, also in ihrer Kombination einen viel besseren Effekt erzielen, als würde man die einzelnen Komponenten zu sich nehmen. Das ist bei Naturkost übrigens prinzipiell der Fall. 

Sehr gern empfohlen wird ein Saft aus dem Gras des Raygrases. Hierfür wird eine Handvoll des Grases mechanisch zerkleinert und mit einem Glas Wasser unter Zugabe von etwas Salatgurke, Apfel oder Fenchel (es geht auch ohne) püriert, was am Ende wieder einem Smoothie gleichkommt. Diese Portion sollte dann schluckweise über den Tag verteilt getrunken werden - was bei jedem Smoothie prinzipiell zu empfehlen ist - und man ist für diesen Tag mit allen Nährstoffen versorgt. Eine Kombination mit einem Teelöffel frischer und zerkleinerter Brennnesselwurzel wäre natürlich der Idealfall. Wer mag, kann seine tägliche Portion Gras auch in Töpfen oder Pflanzenkübeln aussäen, falls keine unbedenkliche Wiese in der Nähe ist. So mache ich es mit Löwenzahn.

 

 

Geschichtliches zu Gräsern

 

Nüsse, Früchte, Samen und harte pflanzliche Kost hätten die Kost des Urmenschen sein sollen; und dies brachte ihm den Namen Paranthropus boisei – Nussknackermensch ein. Doch ähnelten seine Essgewohnheiten eher denen einer Kuh. Anhand der Schädelmerkmale dieses Vor-Menschen mit seinem kräftigen Kiefern, übergroßen Backenzähnen und stark ausgebildeter Kaumuskulatur, ernährte sich der Nussknacker-Mensch offenbar überwiegend von tropischen Gräsern. Zu diesem Schluss kamen amerikanische Forscher, die fossile Zähne des Nussknacker-Menschen untersuchten, der vor mehr als einer Million Jahre in Ostafrika lebte. Eine chemische Analyse des Zahnschmelzes von 24 fossilen Backenzähnen lieferte die neue Erkenntnis. Die 22 Vor-Menschen, von denen die Proben stammten, lebten vor 1,9 bis 1,4 Millionen Jahren in Nord- und Zentralkenia. Im Untersuchungsmaterial ließen sich noch Kohlenstoffatome der pflanzlichen Nahrung nachweisen. Das Verhältnis der Kohlenstoffisotope im Pflanzengewebe liefert einen zuverlässigen Hinweis auf die Art der verzehrten Pflanzen. So konnten die Forscher feststellen, dass es sich bei der Nahrung des Nussknacker-Menschen nicht um Bäume, Sträucher oder krautige Pflanzen handelte, sondern um Süß- und Riedgräser.

Die mit den Zahnschmelzproben gemessenen Werte zeigten, dass der Großteil der Nahrung von grasartigen Pflanzen stammte. Paranthropus boisei konkurrierte also bei der Nahrungssuche nicht mit anderen Primaten, die Früchte und Baumblätter fraßen, sondern mit den Vorfahren von Zebra, Schwein und Nilpferd. Die mächtigen Kiefer dienten demnach dazu, große Mengen an Gras zu zermalmen. Keiner der Forscher hätte erwartet, an einem entfernten Zweig unseres Familienstammbaums auf einen Primaten mit den Eigenschaften einer Kuh zu stoßen. Auch Zähne von Australopithecus-Funden sollen nun untersucht werden. Die Gattung Australopithecus hat sich im Lauf der Evolution in zwei Linien aufgespalten, wovon die eine zur Gattung Paranthropus, die andere zur Gattung Homo führte. Das Wissen darüber, was ausgestorbene Hominiden gegessen haben, lasse Rückschlüsse auf die Vegetation und damit die Verbreitung des Vor-Menschen zu.

 

Vor 10 Millionen Jahren wandelte sich das Klima in Ostafrika und die feuchten Regenwaldgebiete gingen in trockene Savannenbiotope über. Diese klimatische Veränderung hat dazu geführt, dass sich die ursprünglichen Hominiden-Populationen in die zu den heutigen Menschenaffen und dem Menschen führenden Linien aufspalteten.

Der aufrechte Gang beginnt bei dem Wechsel vom tropischen Regenwald zum Savannenbiotop. Die Zweibeinigkeit gehörte in der Evolution der menschlichen Ernährung zu den ersten Strategien, um auf die veränderten Umweltbedingungen zu reagieren. Durch die zunehmende Trockenheit in Afrika vor ca. 2,8 bis 2,5 Millionen Jahren dehnte sich der Anteil an hartfaserigen und hartschaligen Pflanzen weiter aus, die verbleibenden Flussuferwälder wurden schmaler. Dieser neuerliche evolutionäre Druck muss groß genug gewesen sein, um die Spaltung in die Gattungen Paranthropus und Homo hervorzurufen.

Der robuste Paranthropus mit seinen megadonten Zähnen suchte Schutz vor Großkatzen in den Flussuferwäldern. Man vermutet, dass die Fähigkeit zur zweibeinigen Fortbewegung sich bereits in den Wäldern entwickelte, deren Schutz sie erst allmählich verließen, um in die offenen Landschaften vorzudringen. In den Savannenbiotopen selbst wäre ein sich Aufrichten lebensnotwendig, um die Umgebung über die hochwachsenden Gräser hinaus nach Gefahr überblicken zu können. Insofern verdanken wir dem Gras vielleicht sogar unseren aufrechten Gang. 

Letztlich jedoch starb die Art des Paranthropus boisei aus. Die Alternative muss der Beginn der Werkzeugkultur gewesen sein, deren Anfänge ebenfalls 2,5 Millionen Jahre zurückreichen. Durch die Benutzung von Steinwerkzeugen zum zerstoßen harter Nahrung, entstanden zufällig scharfkantige Abschläge, die als Schneidwerkzeug eingesetzt wurden; eine Revolution in der Fleischbearbeitung und dem Zerlegen von Kadavern. 

Die Nahrungsnische des frühen Menschen wird in den Uferwaldzonen gesehen, wo Reste von Großkatzenbeute und Kadavern ausreichende Ressourcen bieten. Im saisonalen Rhythmus der Savanne boten in der Trockenperiode die Beutereste von Großkatzen reichlich Nahrung, während das Angebot an gehaltvoller pflanzlicher Nahrung aus Ermangelung an Niederschlag drastisch sank.  In Regenzeiten dürfte die Ernährung auf pflanzlicher Basis im Schutz der Uferwälder überwogen haben. 

So legten im Gegensatz zu den robusten Vormenschen unsere Vorfahren eine große Flexibilität des Ernährungsverhaltens an den Tag – eine Entwicklung, die in Verbindung mit der gehaltvollen Fleischnahrung letztendlich auch zu einem größeren und leistungsfähigerem Gehirn führte.

Letztendlich zeigt sich, dass Gräser für den Urmenschen als Nahrungsquelle zwar dienlich waren, jedoch keine dauerhafte Ernährungsmöglichkeit boten. 

Eines jedoch bleibt wahrscheinlich zu vermuten; das wir unseren aufrechten Gang den Gräsern zu verdanken haben und nicht, wie zunächst angenommen, in Griffnähe wachsende Früchte an Bäumen.

Gräser entstanden im Känozoikum, der Erdneuzeit. Sie beschränkten sich zunächst auf bewaldete und sumpfige Gebiete. Im Einklang mit der Entwicklung der Windbestäubung und des Wachstumsprozesses eroberten die Gräser ab dem Oligozän das offene Land; Steppen, Grasland und Tundren breiteten sich dann im Miozän aus. Es wird vermutet, dass die Evolution der Süßgräser mit jener der großen Weidetiere parallel ging.

 

Die Farbe Grün ist leicht auf den altgriechischen Begriff grástis rückführbar, was Futterkraut bedeutet. Die lateinische Bezeichnung lautet gramen. Das deutsche Wort Gras geht wohl auf die indogermanische Silbe ghr zurück und bedeutet soviel wie wachsen. Dies findet sich auch im englischen to grow wieder.

 Als Gräser werden sowohl Süßgräser, Sauergräser wie auch Binsengewächse zusammengefasst, weil sie allesamt keine auffälligen, bunten, sondern stark reduzierte Blüten haben, die meistens in Blütenständen beisammen stehen.

Sauergräser werden oft einfach als Gräser genannt, ihre Halme aber sind nicht durch Knoten gegliedert. Als Sauergräser bezeichnet man Riedgräser und Binsengewächse.

Süßgräser (Gramineae oder Poaceae), mit 10.000 Arten und 650 Gattungen, sind die größte Gattung innerhalb der Blütenpflanzen und zeichnen sich durch runde, hohle Stengel und durch zweizeilig angeordnete Blätter mit langer, stengelumfassender Scheide aus. Ihre unscheinbaren, meist zwittrigen Blüten haben keine Blütenhülle, aber dafür trockenhäutige Hochblätter. Sie stehen immer in Ährchen beisammen, die ähren-, trauben- oder rispenärmige Gesamtblütenstände bilden.

Süßgräser zählen zu den ältesten Nutzpflanzen überhaupt und sind mit der Entwicklungsgeschichte des Menschen eng verflochten. Alle Getreidearten gehören in diese Pflanzengruppe. Sie sind weltweit verbreitet, kommen an Meeresküsten, im Hochgebirge und den Polarkreisen vor. Alle terrestrischen Standorte sind von Gräsern besiedelt. Ein Fünftel der Pflanzendecke der Erde wird von Gräsern eingenommen. Ihr Erscheinungsbild ist entsprechend ihres Vorkommens in allen Klimazonen ausgesprochen facettenreich, ebenso ihre Wuchsformen, Blütenstände und Wurzeln. Die Samenkörner sind eine Sonderform der Nussfrucht. Aufgrund ihres Aufbaus sind sie vielmehr Früchte.

Grundsätzlich bringen alle Gräser Mitteleuropas essbare Samen hervor. Die Samen lassen sich, meist im Spätsommer, geröstet und gemahlen zu Kaffee verarbeiten oder in einem Keimgefäß zum Keimen bringen, die etwas größeren Samen zur Bierherstellung.

 

Mythologisches

 

Getreidegötter und Wächter schenkten den Menschen das für ihre Ernährung so wichtige Getreide und behüteten es. Sie erschufen Getreidearten, verteidigten sie gegen teuflische Geister und vernichteten Insekten und andere Schädlinge. Die Göttin Demeter schenkte der Menschheit  die ersten Samen des Weizens und lehrte Triptulemus, die Erde zu bearbeiten und Brot zu bereiten. Er missionierte und verbreitete die Kunst des Weizenanbaus in allen Ländern rund um das Mittelmeer. Er wurde von dem Gott Adonis unterstützt; von Ceres, die den grünen Weizen goldfarben machte; und von Flora, die das Getreide vor Krankheiten schützt.

In Nordamerika gab der Herr der Winde seinem Sohn Iosheka ein Maiskorn und er brachte den Indianerstämmen der Huronen und der Irokesen den Maisanbau bei.

In Asien war es der Inari, der japanische Reisgott, der noch heute den Reisanbau bewacht und vermehrt. Zwei Füchse begleiten ihn dabei. Sie bringen seine Anweisungen zu den Bauern. Wenn ein Reisbauer einen Fuchs durch sein Reisfeld schnüren sieht, sollte er ihn nie davonjagen. Die Bauern Südostasiens halten den Reis für die Ausstrahlung Buddhas.

In Europa gibt es eine große Anzahl an Wesen, die für die Getreidefelder sorgen. In Nordeuropa sind es unsichtbare Meuten von Weizen- und Roggenhunden, die leichtfüßig auf den aufrecht stehenden Halmen gehen können. Die Wellen im Feld, von denen man glaubt, dass sie vom Wind getrieben werden, sind in Wirklichkeit die Wachhunde.

In Russland achten die Poleviki und Poludnitsy auf die Getreidefelder. Die Poleviki sehen menschlich aus und ihre Haare und Bärte sind so grün wie der junge Weizen. Die Poludnitsy sind hübsche junge Mädchen mit Haaren so golden wie Weizenstroh. Beide Feldgeister bestrafen Eindringlinge, aber auch faule Bauern, die sich nicht hinreichend um ihre Felder kümmern.

 

@Kay Weber